Aktien, Rubel und Öl stürzen ab, die Investoren flüchten in Gold und Staatsanleihen: Der Umbruch in der Ukraine löst Schockwellen auf den Finanzmärkten aus. Welche Folgen das für die weltweite Konjunktur hat - und warum Deutschland wirtschaftlich am meisten zu verlieren hat.
Die Krim-Krise hat weltweit Schockwellen an den Finanzmärkten ausgelöst: Die Aktienmärkte in Russland und der Ukraine brachen um mehr als zehn Prozent ein, auch der Deutsche Aktienindex (Dax) verlor drei Prozent. Der russische Rubel fiel auf einen historischen Tiefstand. In ihrer Unsicherheit flüchteten die Investoren in sicherere Anlagen wie Gold und deutsche Staatsanleihen. "Wie so häufig in Krisenzeiten setzt nicht die eigentliche Krise den Aktien zu, sondern die Verunsicherung", sagte Aktienhändler Markus Huber vom Brokerhaus Peregrine & Black. Es handle sich um eine nie dagewesene Krise, sagte Analyst Patrick Jacq von der französischen Bank BNP Paribas. Deshalb könnten die Turbulenzen an den Aktienmärkten andauern. Trotzdem erwarten die Experten nicht, dass der Konflikt die Konjunktur weltweit zum Absturz bringt.
Am gravierendsten waren die Folgen an den Börsen der beiden betroffenen Länder. Der russische Leitindex RTS schloss mit 1115 Punkten zwölf Prozent schwächer. So niedrig stand er zuletzt vor viereinhalb Jahren. Das ukrainische Börsenbarometer Micex verlor knapp zwölf Prozent. 100 Rubel kosteten 1,98 Euro. Um die Schockwellen für die einheimische Wirtschaft zu bremsen, erhöhte die russische Zentralbank den Leitzins von 5,5 auf 7,0 Prozent. Damit will sie verhindern, dass weiteres Kapital aus dem Land fließt. Der Deutsche Aktienindex verlor bis zum frühen Abend 3,4 Prozent auf 9359 Punkte.
Die Stimmung an der Börse ist schon seit Jahresanfang nervös. "Hauptgrund ist, dass die US-Notenbank die Geldschwemme langsam zurückfährt", sagt Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank. Dies habe Investoren zur Kapitalflucht aus Schwellenländern veranlasst und die wirtschaftlichen Schwächen von Staaten wie Brasilien, Indien oder der Türkei offengelegt. Auch Russland und die Ukraine sind Schwellenstaaten, daher verschärft die Krise nun die vorhandene Nervosität der Investoren.
"Die Anleger suchen wie immer in Krisenzeiten sichere Häfen auf", sagt Markus Sievers von der Fondsgesellschaft Apano. Er selbst will in seinem globalen Mischfonds den Anteil sicherer Staatsanleihen auf bis zu 20 Prozent verdoppeln und im Gegenzug den reinen Aktienanteil abbauen. Für deutsche Staatsanleihen mit zehn Jahren Laufzeit sank die Rendite von 1,62 auf 1,57 Prozent. Der Preis für eine Feinunze Gold stieg um 1,8 Prozent auf 1350 Dollar und damit auf den höchsten Stand seit vier Monaten. Im Vorjahr war der Kurs auf 1180 Dollar abgestürzt.
Deutschland ist nach Russland der wichtigste Handelspartner der Ukraine. Die Deutschen verkaufen dem Land Waren wie Maschinen, Autos oder Elektrotechnik. 2012 haben die deutschen Exporte um sieben Prozent auf 5,7 Milliarden Euro zugenommen, das entspricht etwa 0,5 Prozent der deutschen Waren-Exporte. Russland hat im Vergleich dazu ein deutlich größeres Gewicht: 2012 summierten sich die deutschen Ausfuhren in das Land auf 38 Milliarden Euro, etwa 3,5 Prozent der Gesamtexporte. Unternehmer warnen vor dem wirtschaftlichen Risiko, das vom russisch-ukrainischen Konflikt ausgeht: "Konjunkturell sind wir alle voneinander abhängig", sagt Rainer Lindner, Geschäftsführer des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft. 400 deutsche Firmen sind nach seinen Angaben in der Ukraine vertreten. Sollten die Spannungen sich verschärfen, habe Deutschland am meisten zu verlieren, sagt Analyst Huber.
Am stärksten traf es Unternehmen, die einen großen Teil ihres Umsatzes in Russland machen. Für Adidas ist es der weltweit drittwichtigste Markt; die Aktie verlor 3,95 Prozent. Noch schlimmer erwischte es den Handelskonzern Metro mit einem Kursverlust von 5,44 Prozent. Metro hatte erst Ende Januar angekündigt, sein Großmarkt-Geschäft in Russland im April an die Börse bringen zu wollen. Das Vorhaben ist nun stark gefährdet. "Die Wahrscheinlichkeit, dass der Börsengang wie geplant über die Bühne geht, ist gering", sagte ein Insider.
"Das größte direkte Risiko besteht in der Unsicherheit bei den Gaslieferungen", sagt Chefökonom Krämer. Ein Viertel ihres Gases kauft die EU in Russland ein, die Hälfte davon fließt über Pipelines durch die Ukraine. Verweigert das Land die Durchleitung des russischen Gases in den Westen, "könnte nur die Hälfte über andere Pipelines umgeleitet werden", sagt Krämer. Nicht lange ist es her, da hat Europa genau das erlebt: 2010 floss im Streit mit Russland phasenweise kein Gas mehr durch die Ukraine, viele EU-Staaten mussten daraufhin ihre Reserven anzapfen. Deutschland allerdings war damals von dem Lieferstopp kaum betroffen - und wäre es zumindest nach Einschätzung des Bundeswirtschaftsministeriums auch in Zukunft nicht. Beschwichtigend hieß es zu Wochenbeginn: "Derzeit gibt es überhaupt keine Anhaltspunkte für Lieferengpässe. Das gilt für Erdgas ebenso wie für Rohöl." Zumindest für den russischen Energiekonzern Gazprom hat die Krise jetzt schon massive Auswirkungen: Die Aktie verlor zu Wochenbeginn 13,9 Prozent ihres Wertes. Das entsprach einem Börsenwert von acht Milliarden Euro - so viel ist die gesamte Lufthansa wert. Folgen hat die Krise auch für den Ölpreis. Ein Barrel (159 Liter) der Nordseesorte Brent notierte bei 110,76 Dollar, 1,5 Prozent höher als am Vortag.
Trotz der Turbulenzen vom Montag, Chefökonom Krämer glaubt nicht, dass sich die Krim-Krise zu einer Gefahr für die Weltwirtschaft auswächst. "Russland und die Ukraine spielen als Absatzmärkte für Industriestaaten bei Weitem keine so wichtige Rolle wie China", sagt er. Zudem sei Russland vom Gasexport mindestens genauso abhängig wie die Abnehmer von dessen Bezug; es liege nicht im eigenen Interesse, die Lieferungen in den Westen zu kappen.
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