17 05 2016

Steueroasen

Steueroasen, Steuertricks, Steuerbetrug: Der Kampf gegen Konzerne, die durch clevere internationale Geschäftskonstruktionen ihre Abgabenlast extrem drücken, wird nicht nur in der Wortwahl immer härter geführt. Sich in eine Oase zu begeben, klingt nicht anrüchig, sondern nur beneidenswert. Tricksereien sind dagegen schon zwielichtig. Betrug aber ist strafbar und damit in jedem Fall rigoros auszuschalten.

Dass heutzutage mehr vom Betrug und weniger von Oasen die Rede ist, signalisiert, dass die Gegner der Steuergestalter schon einen wichtigen Sieg errungen haben: Die öffentliche Debatte ist von allerhöchster Empörung geprägt.
Der deutsche Finanzminister gehört weltweit zu den engagiertesten Verfechtern einer internationalen Zusammenarbeit, um Firmen wie Apple oder Google dazu zu zwingen, künftig einen größeren Obolus zu leisten. Und Wolfgang Schäuble ist seinem Ziel in den vergangenen Wochen bereits ein ganzes Stück näher gekommen. Sowohl innerhalb der Europäischen Union als auch im Rahmen der G-20-Gruppe der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer sind Vereinbarungen getroffen worden, die extreme Steuersparmodelle aufdecken und unterbinden sollen. Der Chef der Organisation für wirtschaftliche Kooperation und Zusammenarbeit (OECD) Ángel Gurría spricht von einem Jahrhundertvorhaben.
Denn die nationalen Steuergesetze und internationalen Standards hinken den Unternehmen, die heute global agieren, weit hinterher. Die meisten Regelungen beruhen noch auf Vereinbarungen des Völkerbundes aus den 20er-Jahren. Ging es damals vor allem darum, multinationale Unternehmen vor doppelter Besteuerung zu schützen, steht heute der Schutz der Staaten vor den Steuerumgehungsstrategien der Konzerne auf der Agenda. Vor allem die Digitalisierung der Wirtschaft erfordert neue Klarstellungen.
Anders als in der Vergangenheit ist der Ort der Wertschöpfung bei einem Unternehmen, das seine Geschäfte vorwiegend im Internet tätigt, heute oft weniger eindeutig, als dies in klassischen Industrien der Fall ist. Immaterielle Güter lassen sich schließlich von jedem beliebigen Firmensitz aus per Knopfdruck um die Welt schicken.
[11:48:07] Natalie IBFS Europe: Doch selbst Unternehmen, die wie das Möbelhaus Ikea oder die Kaffeehauskette Starbucks herkömmliche Produkte und Dienste anbieten, schaffen es, ihre Gewinne ganz legal dorthin zu verschieben, wo der Fiskus sich mit wenig zufriedengibt. Enthüllungen über die Steuerpraxis in Luxemburg zeigen zudem, dass auch etliche deutsche Unternehmen über ausgegründete Briefkastenfirmen dem hiesigen Finanzminister gerne ein Schnippchen schlagen. Ökonomen schätzen, dass allein dem deutschen Staat durch diese Form der Steuergestaltung zehn bis 15 Milliarden Euro jährlich entgehen.
So sinnvoll es ist, das Steuerrecht fit für das digitale Zeitalter zu machen, so gefährlich wäre es, die Harmonisierung in diesem Bereich allzu weit zu treiben. Die derzeitige Praxis einiger Länder wie Luxemburg, Irland, aber auch den Niederlanden oder Großbritannien, mit unmäßigen Steuergeschenken Firmen zu beglücken, ist nicht hinnehmbar. Wenn Gewinne in einem Land erwirtschaftet werden, müssen sie dort auch versteuert werden und dürfen nicht über fiktive Lizenzgebühren, Zinsen oder Ähnliches an einen anderen Ort verschoben werden. Allerdings ist die Einigung auf solche Regeln komplizierter, als dies zunächst scheint. Denn nicht jede Gewinnverlagerung ist zu kritisieren. Und Verrechnungen zwischen Mutter- und Tochterunternehmen sind ebenfalls übliche Geschäftspraktiken. Deshalb ist die Verständigung auf angemessene Standards ein so mühsamer Prozess.
Vielen Befürwortern einer härteren Gangart gegenüber Steuergestaltern geht es allerdings in Wahrheit um sehr viel mehr als nur um die Anpassung internationaler Steuerregeln an die heutige Zeit. Denn die Forderung nach Schließung von Schlupflöchern wird gerne verbunden mit dem Hinweis, dass sich manche Länder wie Irland generell zu niedrige Steuersätze leisteten.
Auch klagen etliche Politiker über übermäßigen Spardruck angesichts chronisch leerer öffentlicher Kassen; mit zusätzlichen Unternehmenssteuern könnten sie die von interessierter Seite lautstark geforderten Konjunkturprogramme finanzieren. Häufig wird die Debatte über Steuerflucht auch verbunden mit dem Hinweis auf die Kluft zwischen Arm und Reich. Gerade die US-Konzerne stehen für angeblich unermesslichen Reichtum, den es nicht nur nach Ansicht linker Kreise im Namen der sozialen Gerechtigkeit viel stärker zu besteuern gilt. Ein Weltfinanzamt, dem keiner mehr entkommt, dem jede Bank alle Informationen liefert: welch ein Traum für gestaltungsfreudige Politiker. Doch den Steuerzahlern droht bei einer allzu engen Kooperation der nationalen Finanzbehörden Ungemach. Denn Regierungen neigen dazu, attraktive Steuerregeln anderer Länder allzu schnell als unfair zu brandmarken.
Irland beispielsweise wird nicht nur für einige Sonderregelungen von EU-Partnern gerügt, sondern auch dafür, generell niedrige Steuern zu erheben. In der Finanzkrise wurde der schwer gebeutelte Staat bedrängt, dieses Geschäftsmodell aufzugeben, obwohl das kleine Land als Hochsteuerland wohl kaum wieder auf Wachstumskurs gekommen wäre.
Ausgabenfreudige Regierungen werden durch den internationalen Steuerwettbewerb unter einen heilsamen Druck gesetzt. Die letzte große Steuerreform in Deutschland im Jahre 2000 diente vorrangig dem Zweck, die hiesige Wirtschaft international konkurrenzfähiger zu machen. Die rot-grüne Regierung Schröder senkte deshalb nicht nur die Körperschaftsteuer, sondern auch die für Mittelständler maßgebliche Einkommensteuer: Der Spitzensteuersatz sank von 53 auf 42 Prozent und auch im gesamten Tarifverlauf gab es erhebliche Entlastungen. Dies zeigt, dass internationaler Steuerwettbewerb keineswegs zulasten der Bürger geht, sondern im Gegenteil diese vor der Gier des Staates schützt.
Dass derzeit in Deutschland nicht nur über das Schließen von Steuerschlupflöchern so viel geredet wird, sondern auch immer mehr Politiker den Spitzensteuersatz für unerträglich niedrig halten, ist durchaus im Zusammenhang zu sehen. Obwohl der Fiskus von Jahr zu Jahr mehr einnimmt, hat er nie genug. Wirtschaft und Bürgern muss deshalb gleichermaßen an einem funktionierenden Steuerwettbewerb gelegen sein.



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