11 06 2019

EU-Kommission: Vertragsverletzungsverfahren im Juni 2019

EU-Kommission, Mitteilung vom 06.06.2019

Auch in diesem Monat hat die Europäische Kommission rechtliche Schritte gegen Mitgliedstaaten eingeleitet, die ihren Verpflichtungen aus dem EU-Recht nicht nachkommen. Mit diesen Verfahren, die verschiedene Sektoren und EU-Politikfelder betreffen, soll eine korrekte und vollständige Anwendung des EU-Rechts im Interesse der Bürger und der Unternehmen gewährleistet werden.
Die wichtigsten Beschlüsse der EU-Kommission werden im Folgenden vorgestellt. Die Kommission hat zudem beschlossen, 97 Verfahren einzustellen, in denen die Probleme mit den Mitgliedstaaten gelöst wurden und keine weiteren Verfahrensschritte notwendig sind.
Steuern und Zollunion
Steuern: Kommission verklagt ÖSTERREICH wegen Nichtumsetzung der Mehrwertsteuervorschriften für Reisebüros
Die Kommission hat am 06.06.2019 beschlossen, Österreich vor dem Gerichtshof der Europäischen Union zu verklagen, weil es die besonderen Mehrwertsteuervorschriften für Reisebüros nicht ordnungsgemäß anwendet. Gemäß der Mehrwertsteuer-Sonderregelung für Reisebüros ist nur die mit dem Verkauf von Reiseleistungen an Verbraucher erzielte Gewinnspanne mehrwertsteuerpflichtig. Im Gegenzug können Reisebüros keinen Vorsteuerabzug für die von anderen Unternehmen erworbenen Dienstleistungen vornehmen. Österreich wendet diese Vorschrift jedoch nicht korrekt an, da es derzeit Reiseleistungen von dieser Regelung ausschließt, die an andere Unternehmen verkauft werden. Ein solcher Ausschluss ist nach dem geltenden EU-Recht nicht zulässig und kann zu Wettbewerbsverzerrungen führen. Österreich verstößt außerdem gegen diese Bestimmung (MwSt-Richtlinie, Richtlinie 2006/112/EG des Rates), weil die von Reisebüros zu zahlende Mehrwertsteuer auf der Grundlage des Gesamtumsatzes in einem Steuerzeitraum berechnet wird. Der EU-Gerichtshof (Rechtssache C-189/11, Kommission/Spanien) hat jedoch eindeutig entschieden, dass die Bemessungsgrundlage für jeden einzelnen Verkauf und nicht für eine Gruppe von Leistungen zu ermitteln ist. Weitere Informationen hierzu in der vollständigen Pressemitteilung.
Steuern: Kommission verklagt SPANIEN wegen Verhängung unverhältnismäßiger Sanktionen bei Nichtmeldung von im Ausland gehaltenen Vermögenswerten
Die Kommission hat am 06.06.2019 beschlossen, Spanien vor dem Gerichtshof der Europäischen Union zu verklagen, weil das Land unverhältnismäßige Sanktionen gegen spanische Steuerpflichtige verhängt, die in anderen EU- und EWR-Staaten gehaltene Vermögenswerte nicht gemeldet haben („Modelo 720"). In Spanien sind gebietsansässige Steuerpflichtige derzeit verpflichtet, im Ausland gehaltene Vermögenswerte wie Immobilien, Bankkonten und finanzielle Vermögenswerte zu melden. Die Strafen für die verspätete oder unvollständige Übermittlung dieser Informationen sind höher als für ähnliche Verstöße mit rein inländischem Bezug und können sogar den Wert der im Ausland gehaltenen Vermögenswerte übersteigen. Nach Ansicht der Kommission sind solche Strafen für die unvollständige oder verspätete Erfüllung dieser legitimen Informationspflicht unverhältnismäßig und diskriminierend. Sie könnten Unternehmen und Privatpersonen davon abhalten, grenzüberschreitend im Binnenmarkt zu investieren oder mobil zu sein. Die fraglichen Vorschriften verstoßen daher gegen die EU-Grundfreiheiten wie den freien Personenverkehr, die Arbeitnehmerfreizügigkeit, die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit und den freien Kapitalverkehr. Weitere Informationen hierzu in der vollständigen Pressemitteilung.
Steuern: Kommission fordert POLEN auf, seine nationale Praxis betreffend Steuerbefreiungen für eingeführten Alkohol zur Herstellung von Arzneimitteln mit dem EU-Recht in Einklang zu bringen
Die Kommission hat am 06.06.2019 beschlossen, eine mit Gründen versehene Stellungnahme an Polen zu richten, da es Einführern von Alkohol, der zur Herstellung von Arzneimitteln verwendet wird, nicht gestattet, die vorgeschriebenen Verbrauchsteuerbefreiungen anzuwenden, wenn sie sich nicht für das Verfahren der Steueraussetzung entscheiden. Nach dem geltenden polnischen Recht ist eine Erstattung der Verbrauchsteuer auf die Einfuhr von Ethylalkohol, der zur Herstellung von Arzneimitteln verwendet wird, derzeit nicht möglich, wenn die Verbrauchsteuer bereits entrichtet wurde. Diese Praxis verstößt gegen die EU-Vorschriften zur Harmonisierung der Struktur der Verbrauchsteuern auf Alkohol und alkoholische Getränke (Richtlinie 92/83/EWG des Rates) und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Reagiert Polen nicht binnen zwei Monaten, kann die Kommission beschließen, den Fall an den Gerichtshof der Europäischen Union zu verweisen.
Steuern: Kommission fordert UNGARN auf, Steuersätze für Zigaretten an den EU-weiten Mindeststeuersatz anzupassen
Die Europäische Kommission hat am 06.06.2019 beschlossen, eine mit Gründen versehene Stellungnahme an Ungarn zu richten, weil das Land den EU-weiten Mindestsatz für Verbrauchsteuern auf Zigaretten, der in den EU-Vorschriften über Tabakwaren (Richtlinie 2011/64/EU des Rates) festgelegt ist, nicht einhält. Im Interesse eines reibungslosen Funktionierens des Binnenmarkts und eines hohen Schutzniveaus für die menschliche Gesundheit müssen die Mitgliedstaaten gemäß dem geltenden EU-Recht auf Zigaretten eine Verbrauchsteuer von mindestens 60 % des gewichteten durchschnittlichen Kleinverkaufspreises erheben. Ungarn wurde eine lange Übergangsfrist bis zum 31. Dezember 2017 eingeräumt, um die Verbrauchsteuer auf Zigaretten schrittweise auf den vorgeschriebenen Mindeststeuersatz zu erhöhen. Bis heute liegt die Verbrauchsteuer in Ungarn unter diesem Mindestsatz, was zu Wettbewerbsverzerrungen gegenüber anderen Mitgliedstaaten führt und im Widerspruch zur EU-Gesundheitspolitik steht. Kommt Ungarn der Aufforderung nicht binnen zwei Monaten nach, kann die Kommission den Fall an den Gerichtshof der Europäischen Union verweisen.
Steuern: Kommission fordert ZYPERN zur Änderung seiner Vorschriften über eingeführte Fahrzeuge auf
Die Kommission hat am 06.06.2019 beschlossen, Zypern ein Aufforderungsschreiben wegen der Stilllegung von Kraftfahrzeugen zu übermitteln. Gemäß dem zyprischen Recht können Kraftfahrzeuge ohne Vorankündigung stillgelegt werden, wenn die Vorschriften für die vorübergehende Einfuhr und Registrierung nicht eingehalten wurden. In einigen Fällen können Bußgelder verhängt werden, die den Wert des Fahrzeugs überschreiten können. Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, das EU-Recht und seine allgemeinen Grundsätze wie den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit einzuhalten; der EU-Gerichtshof hat wiederholt entschieden, dass verwaltungsrechtliche Maßnahmen oder Sanktionen nicht über das unbedingt erforderliche Maß hinausgehen dürfen und mit den in Artikel 45 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU (AEUV) verankerten Grundfreiheiten in Einklang stehen müssen. Reagiert Zypern nicht binnen zwei Monaten, kann die Kommission dem Land in dieser Sache eine mit Gründen versehene Stellungnahme übermitteln.
Kfz-Besteuerung: Kommission fordert MALTA zur Änderung seiner Vorschriften über die jährliche Kraftfahrzeugsteuer für Pkw auf
Die Kommission hat am 06.06.2019 beschlossen, ein Aufforderungsschreiben an Malta zu richten und das Land aufzufordern, seine Vorschriften über die Kfz-Besteuerung zu ändern. Gemäß dem geltenden maltesischen Recht werden Pkw, die nach dem 1. Januar 2009 in Malta zugelassen und aus anderen Mitgliedstaaten eingeführt wurden, stärker besteuert als vor diesem Datum in Malta zugelassene, vergleichbare Pkw, auch wenn das eingeführte Fahrzeug zuvor bereits in einem anderen Mitgliedstaat zugelassen war. Damit verstößt Malta nach Ansicht der Kommission gegen das EU-Recht. Laut der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union stellt es einen Verstoß gegen Artikel 110 AEUV dar, wenn Kraftfahrzeugsteuern anhand unterschiedlicher Kriterien berechnet werden, wodurch aus anderen Mitgliedstaaten importierte Fahrzeuge stärker besteuert werden als heimische Fahrzeuge. Malta hat nun zwei Monate Zeit, um zu reagieren. Andernfalls kann die Kommission eine mit Gründen versehene Stellungnahme übermitteln.
Binnenmarkt, Industrie, Unternehmertum und KMU
Binnenmarkt: Kommission fordert 28 Mitgliedstaaten zur Einhaltung der EU-Dienstleistungsvorschriften auf
Die Kommission hat am 06.06.2019 beschlossen, ein Aufforderungsschreiben an alle 28 EU-Mitgliedstaaten zu richten und sie aufzufordern, ihre „einheitlichen Ansprechpartner" zu verbessern und nutzerfreundliche Anlaufstellen für Dienstleister und Angehörige reglementierter Berufe einzurichten. Die einheitlichen Ansprechpartner tragen zu einem modernen Binnenmarkt für die Unternehmen bei, für die es wichtig ist, leichten Zugang zu benötigten Informationen zu haben und Verwaltungsverfahren online abwickeln zu können. Gemäß der Dienstleistungsrichtlinie (Richtlinie 2006/123/EG) müssen die Mitgliedstaaten einheitliche Ansprechpartner einrichten, die Dienstleister und Angehörige reglementierter Berufe bei der Überwindung administrativer Hürden für die Aufnahme einer Dienstleistungstätigkeit unterstützen sollen. Diese Ansprechpartner sind für den freien Dienstleistungsverkehr im Binnenmarkt sehr wichtig. In den Aufforderungsschreiben unterstreicht die Kommission, welche Mängel die 28 Mitgliedstaaten in Bezug auf die praktische Umsetzung der Anforderungen an die einheitlichen Ansprechpartner gemäß der Dienstleistungsrichtlinie und der Richtlinie über die Anerkennung von Berufsqualifikationen (Richtlinie 2005/36/EG, geändert durch die Richtlinie 2013/55/EU) beheben müssen. Diese Mängel betreffen die Verfügbarkeit und die Qualität von Online-Informationen über die Anforderungen und Verfahren für Dienstleister und Angehörige reglementierter Berufe, die ihre Rechte im Binnenmarkt wahrnehmen möchten. Weitere Probleme betreffen den Zugang zu Online-Verfahren und den Abschluss dieser Verfahren über die einheitlichen Ansprechpartner, beispielsweise von grenzüberschreitenden Nutzern. Deshalb ist auch die Einhaltung der EU-Verordnung (EU) Nr. 910/2004 über elektronische Identifizierung so wichtig. Die Mitgliedstaaten haben nun zwei Monate Zeit, um auf die Argumente der Kommission zu antworten. Andernfalls kann die Kommission beschließen, mit Gründen versehene Stellungnahmen zu übermitteln.
Elektronische Rechnungsstellung: Kommission drängt 12 Mitgliedstaaten, neue Vorschriften umzusetzen
Am 21.05.2019 hat die Kommission beschlossen, Aufforderungsschreiben an 12 Mitgliedstaaten (Zypern, Finnland, Frankreich, Griechenland, Ungarn, Irland, Litauen, Luxemburg, Rumänien, Slowakei, Slowenien und Spanien) zu richten, weil die Länder die EU-Vorschriften über die elektronische Rechnungsstellung bei öffentlichen Aufträgen (Richtlinie 2014/55/EU) oder die europäische Norm für die elektronische Rechnungstellung noch nicht in nationales Recht umgesetzt haben. Behörden in der EU, die öffentliche Aufträge vergeben, mussten bis zum 17.04.2019 die europäische Norm für die elektronische Rechnungsstellung umsetzen, um elektronische Rechnungen erhalten und bearbeiten zu können. Die EU-Norm soll zu einer raschen und automatischen Verarbeitung der elektronischen Rechnungen und Zahlungen von Unternehmen beitragen, um die Verwaltung von Verträgen in allen Mitgliedstaaten für die Unternehmen zu vereinfachen und die Attraktivität öffentlicher Aufträge für Unternehmen zu verbessern. Um die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der neuen Norm zu unterstützen, hat die Kommission über 33 Mio. Euro in Finanzhilfen zur Einführung innovativer Lösungen für die elektronische Rechnungsstellung wie durchgehende Automatisierung, Robotik und Nutzung künstlicher Intelligenz investiert, unter anderem durch die Fazilität „CEF" und deren E-Invoicing-Baustein. Die 12 Mitgliedstaaten haben jetzt zwei Monate Zeit, um auf die Argumente der Kommission zu antworten. Andernfalls kann die Kommission beschließen, mit Gründen versehene Stellungnahmen zu übermitteln. Gleichzeitig ist die Kommission nach wie vor bereit, die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der Norm zu unterstützen.



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